Alle Neune und ein bisschen Poesie – zu Besuch bei der Kegelgruppe der Seniorengemeinschaft Velten

Ich hatte es schon öfter versucht. Tischtennis, Bingo, Nähen – in verschiedene Gruppen war ich schon zu Besuch, aber die Kegler der Seniorengemeinschaft hatte ich noch nicht. Mal kam etwas dazwischen, mal passte der Termin nicht, und irgendwie schien mir die Kegelbahn, dieses besondere Stück Veltener Geschichte, fast ein wenig entrückt. Bis an diesem Donnerstag im Mai endlich alles passte.

Der Weg vom Büro des Seniorenbeirats zum SC Oberhavel führt übers Zentrum und die Viktoriastraße – schön anzusehen. Man spürt an jeder Ecke, wie die Stadt sich putzt und gerade für Touristen attraktiver wird, zuletzt durch die neuen Tafeln zur Töppertour. Doch der Wind, der mir um die Ohren pfiff, machte daraus eine kleine Expedition. Die Straßen von Velten waren Zeugen von Zeit, die mir heute besonders auffielen – wie ein Vorbote auf das technische Wunder, das mir bald zu Gesicht kommen würde.

Ankommen in einer anderen Zeit

Als ich die Tür zur Kegelbahn öffnete, schlug mir sofort ein Duft entgegen, der sich wie ein warmer Mantel anfühlte: Holz, ein wenig Öl, leicht metallisch, vermischt mit dem leisen Gemurmel der Spielerinnen und Spieler. Die Bahn ist ein Unikat: ein Stück DDR-Geschichte, gefertigt vom VEB Sportgerätewerk Karl-Marx-Stadt, Betriebsstelle Dresden. Sie atmet Geschichten. Die Holzwände, die alt wirkenden Schilder – kein Kratzer, kein Rost, sorgfältig gewartet, geölt, gepflegt. Man merkt sofort: Hier steckt viel Liebe und handwerkliches Können drin, getragen von den Händen der Mitglieder des SC Oberhavel.

Walter merkte wohl meine Faszination und führte mich hinter zum Kopf der Bahn, dort wo vordergründig die Punkte gemacht und hintergründig die Arbeit durch eine zuverlässige Mechanik erledigt wird. Walter zeigte mir die Mechanik, wie die Kegel durch ein komplexes System aus Seilen und Hebeln wieder aufgestellt werden. Die Kugel gleitet wie in einem Aufzug zurück in die Startposition. Manchmal bleiben Kugeln liegen, dann fehlen die Vorn, sagt er. Dort sehe ich am Rand eine mit einem Gesicht – die nutze ich gleich für ein Foto.

Ein Verein und seine Geschichten

Die Kegelbahn wird noch immer vom Verein genutzt, die hinteren beiden werden heute von den Senioren bespielt.

Wolfgang, der Vorsitzende des Seniorenbeirats, ist seit zehn Jahren Teil der Gruppe. Mit einem kleinen grünen Knopf löst er nach jedem Wurf den Mechanismus aus. Nebenbei schreibt er die Punkte auf, mit einer Genauigkeit und Hingabe, die an einen Archivar erinnert. Tommi ist ein Name, der hier häufig fällt – der Mann gewinnt immer. Doch beim letzten Treffen hat Ute überraschend den Sieg geholt, und heute? Man schaut gespannt, wer vorne liegt.

Die Keglerinnen, die die Zeit besiegen

Was mich am meisten beeindruckte? Es waren die Keglerinnen, die mit ihrem Alter die Grenzen der Zeit zu sprengen schienen. Margarete, seit 1993 dabei, ehemalige Postlerin, viel gelaufen und nie geraucht, ist heute 91 Jahre alt und strahlt eine Vitalität aus, die fast unheimlich ist. Nicht minder beeindruckend: Waldraud, die 91 schon überschritten hat, in jeder Bewegung präzise und voller Lebensfreude.

Man sitzt zusammen, wartet auf den Einsatz, geht mit einem Lächeln und der Würde jahrzehntelanger Vereinsgeschichte. Die Räume selbst scheinen zu atmen, erzählen von den Anfängen in den 60er Jahren, von Turnieren, Pokalen und Freundschaften, die Generationen verbinden.

„Acht ums Vorderholz“ – was bedeutet das eigentlich?

Ich war mit dem Vorsatz gekommen, den Spruch zu verstehen, den ich in einem Podcast hörte (oder war es auf Arte?): „Acht ums Vorderholz!“ Der erste Kegel, der so bedeutsam ist, dass ihm ein eigener Spruch gewidmet wurde. Doch je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr spürte ich, dass es hier nicht nur um den Kegelsport geht, sondern um etwas Größeres: die Haltung zum Leben, das Zusammenspiel von Geschick, Glück und Gemeinschaft.

Philosophieren wollte ich, mit einem Kegel in der Hand und diesem Spruch auf den Lippen. Doch heute war mehr Zuhören, Staunen und Teilhaben angesagt.

Pokale, „Wanderratte“ und fünf Runden

Fünf Runden, fünf Würfe pro Runde, das ist das Spiel. Ein Rhythmus, der verbindet, der Generationen vereint. Am Ende des Jahres warten die Pokale auf die Sieger.

Die „Wanderratte“ wird nach jedem Spiel an den Spieler weitergereicht, der die meisten „Ratten“ gesammelt hat – damit sind die Kugeln gemeint, die im Aus landen. Also diejenigen, die nicht auf der Bahn bleiben und wertvolle Punkte kosten. So wird jeder Fehlwurf auch zur kleinen Herausforderung, die für Schmunzeln und Spaß sorgt.

Abschied mit einem Gefühl

Beim Gehen blieb mir das Bild von Walter im Kopf, der mit seiner warmen Art die Bahn bedient und alles im Griff hat. Gitti, die kurzerhand eingesprungen war, um ihm zu helfen, und Wolfgang, der als ruhiger Chronist und Spieler das Geschehen lenkt. Diese Menschen und ihre Geschichten sind es, die diese Kegelgruppe ausmachen – mehr als ein Sport, eine lebendige Gemeinschaft.

Ich verließ die Bahn mit einem Gefühl von Dankbarkeit und Respekt – für eine Generation, die mit jedem Wurf zeigt, wie man das Leben mit Freude und Gemeinschaft meistert.

Gut Holz!